Wir machen Urlaub in Ostafrika, genauer In Tansania. Und haben bei unserem rührigem Reiseveranstalter Paradies Safaris auch die Organisation der Besteigung einer der höchsten Berge Afrikas gebucht, des Mount Meru. Es ist ein imposanter Vulkanberg, immerhin 4.566 m.ü.M. und im traumhaften Arusha National Park gelegen, jedoch nicht so hoch und damit berühmt wie sein Nachbar Kilimanjaro, der sich in Sichtweite befindet.
Unsere Unternehmung fängt nicht wirklich gut an. Meine Frau hat vor zwei Wochen eine schwere Bronchitis gehabt, ist nun rekonvaleszent und so vernünftig in einer schönen Lodge unten zu bleiben. Ich solle es alleine angehen, dies habe den Vorteil, ich könne in meinem eigenen Tempo und Rhythmus gehen. Dieser ihrer Argumentation kann und will ich erst gar nicht widersprechen. Doch erst mal muss ich mal wieder die bekannte Erfahrung in Afrika machen, dass hier der Begriff Zeit eine andere Bedeutung hat als bei uns. Bis unsere kleine Mannschaft – bestehend aus Guide Godson, dem Koch George und dem Träger Davis – alle Besorgungen am Markt erledigt und sich der Landcruiser im 30 km entfernten Arusha endlich in Bewegung setzt, vergehen Stunden.
Langsam werde ich etwas nervös, denn es steht laut Führer als erste Etappe ein gut vier bis fünfstündiger Marsch vom Momella Gate zur Miriakamba Hut an, die ersten 1.000 Höhenmeter sind zu machen. Als wir dann endlich um 13.00 Uhr im Nationalpark am Start sind, verzögert es sich erneut. Der obligatorische Ranger als Pflichtbegleitung fehlt. Und ab 15.00 Uhr lässt die Parkverwaltung keinen mehr aufsteigen. Um 14.20 Uhr geht es endlich los mit dem Ranger Bonnie. Er hat ein Mauser-Gewehr von 1909 umhängen, noch aus deutschen Beständen der Kolonialzeit stammend! Ich darf die Route wählen und entscheide mich für die längere durch schönstes Bergregenwaldgebiet. George und Davis wollen die kürzere Nord-Variante nehmen, um dann schon mit fertig gekochtem Essen uns zu erwarten. Und Godson käme gleich nach, weil er muss noch den Versuch der Zwangsbegückung einer Trägerzuweisung abwehren mit dem Argument, dass sein Kunde – also ich – ja sein ganzes persönliches Gepäck selbst trägt.
Im Schnellschritt Richtung Gipfel
„Hurry up“ macht mir Bonnie mit einem Blick auf die Uhr klar. Dies lass ich mir nicht zweimal sagen und die nächsten 11 km Wegstrecke nach oben werden ein skurilles ‚Rennen‘ zwischen uns beiden. Wir machen drei kurze Pausen, der kleine Bonnie jeweils eine Zigarette rauchend und im Gegensatz zu mir keinen Schluck trinkend, doch beide stark schwitzend. Nach genau drei Stunden sind wir an der Miriakamba Hut auf 2.514 m.ü. M. angelangt. Doch keiner da vom Paradies-Team! Der uns hinterhetzende Godson trifft zwanzig Minuten später ein und aus einem anfänglichen Gerücht wird um 19.00 Uhr Wirklichkeit: Geschockt und mit kleinen Stolperblessuren kommen Davis und George an. Sie sind kurz vor der Hütte von einem aggressiven Büffel angegriffen worden und konnten sich nur mit Mühe auf einem Baum retten. Die bewaffnete Rangerbegleitung ist also doch nicht zu belächeln!
Am nächsten Morgen schaut die Welt wieder wunderbar aus. Noch vor 12.00 Uhr und wieder schneller als gedacht, kommt unser Team auf der nächsten Hütte auf 3.570 m.ü.M. an, der Saddle Hut. Wie am Vortag haben wir eine vor uns gestartete amerikanische Gruppe mit ihren Führern in einem steilen Wegabschnitt überholt, in einem geheimnisvollen Wald bedeckt mit Bartflechten und Moosen. Nach Rast und Essen – immer von mir eingenommen in der lärmenden Küche voller Gelächter und nie im gruftartigen Dinning Room mit den anderen Gästen – machen Godson und ich einen Spaziergang am Nachmittag auf den nahen Little Meru. Mit 3.820 m.ü.M. wäre er in den Alpen einer der höchsten Berge. Hier in Afrika ist er ein Akklimisationsziel gemäss der Regel ‚höher steigen und niedriger schlafen‘ und ein herrlicher Aussichtpunkt auch auf das eigentliche morgige Ziel – den Hauptgipfel. Auf diesen bin ich fokusiert und fühle mich glücklicherweise bestens.
Um 1.45 Uhr und nach kurzer Nacht, die eine Stunde zuvor gestarteten Amerikaner waren nicht leise, brechen Godsun und ich bei Vollmond auf. Schon bald am Rhino Point können wir die Ruhestörer mal wieder einholen. Über feines Lavageröll geht es nun am imposanten Kraterrand – mit Blick auf den Aschekegel im Inneren der Caldera – auf den dunklen fernen Gipfel immerzu nach oben. Mystische Stimmung. Die 4.000er Grenze ist bald da, 4.200 m schon kurz nach 4.00 Uhr erreicht. Ich bin übermütig und viel zu schnell unterwegs. Godson geht daher ab jetzt nun in leicht felsigem Gelände und mit erstmals eingeschalteter Stirnlampe im Führertempo voran.
Wir sind trotzdem in knapp vier Stunden am Gipfel. Und zu früh dran, müssen daher in der Kälte auf den Sonnenaufgang warten. Der kommt prachtvoll hinter dem Kilimanjaro hervor und erleuchtet die fast 1.500 m hohen Kraterwände des Merus unter uns. Als die Amerikaner eintreffen ist es mit der erhabenen Stimmung vorbei.
Trotz langen Abstiegs halten die Knie
In kürzester Zeit laufen wir wieder nach unten zur Sattle Hut. Es ist erst 8.20 Uhr. Ich bin nun hungrig und müde. Mit einem reichlichen Früstück, besser frühem Mittagessen, verwöhnt bzw. stellt mich George wieder her. Als das Paradies Team – wieder um Ranger Bonnie verstärkt – vor 11.00 Uhr zum weiteren Abstieg aufbricht, treffen die letzten heutigen Meru-Bezwinger vollkommen fertig an der Hütte ein. Wer hat da wen bezwungen? Sie tun mir leid, weil ja für alle nun noch ein anstrengender Abstieg zumindest bis zur Miriakamba Hut ansteht.
An der machen wir etwas Rast. Und erstaunlicherweise halten es meine Knie aus dem herunterstürmenden Davis zu folgen (er trägt übrigens neben einem schweren Rucksack noch eine über 7 kg schwere Gasflasche mit Kocher und Geschirr auf dem Kopf). Über den kurzen Weg erreichen wir sicher – Büffel sind nur in großem Abstand zu sehen – um 14.30 Uhr den Ausgangspunkt am Momella Gate. Unglaublich, Godson und ich haben gerade 3.000 Höhenmeter im Abstieg gemeistert.
Wir sind ein tolles Team gewesen und 48 schnelle, intensive, erlebnisreiche Stunden finden einen würdigen, weil afrikanischen Abschluß: Es dauert geschlagene zwei Stunden bis mich meine neuen tansanischen Freunde an der nicht so weit entfernten und traumhaften Arumeru River Loge abliefern können. Nach unzähligen Umarmungen entlassen sie mich mit meinen nun kaputten Beinen in die Arme meiner Frau.