Seit seinem ersten Hit ‚Strada del Sole‘ gehört Rainhard Fendrich zu den bekanntesten Vertretern des sogenannten Austropops. Bis heute hält seine Kreativität, seine beispiellose Karriere – trotz einiger Brüche – und damit seine Beliebtheit an. Das erste Kompilation-Album „A winzig klaner Tropfen Zeit“ aus dem Jahr 1983 halte ich nach wie vor für eines seiner besten.
Vom 1955 in Wien geborenen Fendrich sind sage und schreibe bis heute 17 Studioalben erschienen; aus meiner Sicht ragen diese drei heraus: „Zwischen eins und vier“ von 1982, „Brüder“ von 1993 und „Meine Zeit“ von 2010. Dabei sind nicht mitgezählt die zahlreichen Sampler („Meisterstücke“) und Kompilations (wie jene in dieser Besprechung), die Live-Mitschnitte seiner Konzerte sowie weitere Projekte und Beteiligungen wie Austria 3. Man hat es also mit einer Ordnung in der Diskografie Rainhard Fendrichs nicht gerade leicht.
Das Album „A winzig klaner Tropfen Zeit“ enthält viele noch heute sehr bekannte Hits und leider etwas in Vergessenheit geratene Lieder. Mein Favorit ist gleich das erste, nicht so bekannte mit dem Titel ‚Zweierbeziehung‘. Es geht darin um einen jungen Mann mit seinem Sportwagen, er ist etwa auf die Ausstattung mit Schweinsledersitzen besonders stolz, welcher durch einen selbstverschuldeten Unfall seine Autoliebe nun zum Kilopreis am Schrottplatz hergeben muss. Triumph und Tragik des Aufschneiders scheinen in Textzeilen auf wie „Bei dir hat er die Gurken ghabt der Herr Carrera“ und „Aber nach 6 Vierteln is ma do no net angsoffn, oda?“. Fendrich hat das Lied 1980 geschrieben und es karikiert vortrefflich den – aus heutiger Sicht herrlich anachronistischen – Zeitgeist meiner Jugend, in welchem Irmscher-getunte Opel Mantas Ideal und Alltag waren.
In ähnlichem Tuktus findet sich auch das schon erwähnte ‚Strada del Sole‘ auf dem Album. Die frustrierenden ersten Reiseerfahrungen eines Jünglings („I wollt nach Firenze nach Rom und nach Pisa / Doch jetzt hab i endgültig gnua vo die Gfrisa“) haben den Liedermacher – zumindest in Österreich – schlagartig bekannt gemacht. Für diese Hymne des Austropos hat ihn übrigens die Bundespost 1993 mit der Auflage einer eigenen 5,50-Schilling-Briefmarke geehrt.
Fendrichs Schmäh begeistert mittlerweile Jung und Alt, Österreicher und Deutsche
Der dem Album namensgebende Song ‚A winzig klaner Tropfen Zeit‘ findet nach wie vor gerne Verwendung zur akustischen Untermalung von Sportreportagen, wenn es darum geht zu verdeutlichen wie Athleten – vornehmlich österreichische Skirennfahrer – um wenige hunderstel Sekunden an einer Goldmedaille vorbeischrammen. Damit sind wir nun dran am Nr. 1 Hit des Albums Es lebe der Sport. Für diesen bitterbösen Text, der die Perversion des Spektakels Hochleistungssport bei Aktiven, Medien und deren Zusehern entlarvt, wird Rainhard Fendrich wohl nie eine Ehrung eines einzigen Sportverbandes erfahren. Jedoch ist der Text im deutschen Sprachraum Allgemeingut geworden. Bei Konzerten können heute alle Generationen alle Zeilen auswendig mitsingen bzw. -grölen (eine Parallele zu seinem Freund Wolfgang Ambros und dessen Partyhit ‚Schifoan‘).
Das war auch schon mal anders. Rainhard Fendrich hat 2006 in einem Interview mit Claudia Stöckl nicht nur freimütig von seinen privaten Krisen berichtet, sondern auch von seiner Frustration, dass er am Anfang seiner Karriere mit seinen Liedern nie so richtig in Deutschland populär geworden sei. Das habe sich erst ab 1993 geändert als er der charmante Moderator der ARD-Kuppelshow Herzblatt wurde. Er habe an sich immer nur den Anspruch, sei es als Sänger oder auch als Schauspieler, beste Unterhaltung zu bieten. Nicht mehr, nicht weniger.
Reinhard Fendrich hat in dieser Zeit auch professionelles Gesangstraining genommen. Die positive Wirkung fällt auf, wenn man alte Stücke nochmals neu aufgenommen im Vergleich anhört; zudem sind die dann zumeist auch besser arrangiert. Ein gutes Beispiel dazu ist der Superhit ‚Schickeria‘ von 1981, der die Hautevolée von Wien auf köstlichste Weise („Und die Hosn de pickn auf uns pausenlos wie a Kletten“) auf den Arm nimmt. Wohl zufällig ist im selben Jahr ein Pendantstück der Spider Murphy Gang erschienen, welches ebenso superb das Treiben der Schickeria von München-Schwabing beschreibt.
Die bayrischen Rock’n’Roller sind vor allem in Konzerten eine Wucht. Und dies gilt genauso für Rainhard Fendrich. Erst live entfaltet sich sein ganzes Potenzial. Auf allen österreichischen und (süd-)deutschen Bühnen herrscht bis zum Ende Hochstimmung – ich habe es schon dreimal erleben dürfen – bis er und seine Band auch wirklich ‚Weus’d a Herz hast wia a Bergwerk‘ gespielt haben. Und ganz persönlich bin ich, wie so viele Landsleute, dem genialen Liedermacher dankbar für gerade ein Werk in seinem unfangreichen Œuvre – für die inoffizielle Bundeshymne: ‚I am from Austria‘.
Ronald Siller | 11. April 2018